Am 19. Juni 2024 führte die AGF das Fachgespräch „Neue Wohngemeinnützigkeit und ihre Potenziale für Familien“ durch. Mit den Vertreter:innen der AGF-Mitgliedsorganisationen diskutierten als externe Experten Jan Kuhnert (KUB Kommunal- und Unternehmensberatung, Hannover) und Dr. Reinhard Aehnelt (Institut für Stadtforschung und Strukturpolitikteil, Berlin).
Ziel des Fachgesprächs war es, das Konzept der „Neuen Wohngemeinnützigkeit“ genauer kennenzulernen und dessen Potenziale zur Verbesserung der Situation von am Wohnungsmarkt benachteiligten Familienformen zu diskutieren. Darüber hinaus wurden eine Einordnung des aktuellen Umsetzungsvorschlags der Bundesregierung und eine Kontrastierung mit anderen Konzepten zur “Neuen Wohngemeinnützigkeit” vorgenommen.
Jan Kuhnert: Konzept für eine neue Wohngemeinnützigkeit
Jan Kuhnert stellte die Grundzüge seines „Konzeptes für eine neue Wohngemeinnützigkeit“ aus dem Jahr 2022 vor, das er für den Deutschen Mieterbund erstellt hatte. Seine Überlegungen gehen von der aktuellen Wohnungsmarktsituation aus, mit den bekannten Problemen des fehlenden Wohnraums in Ballungsgebieten, den Zugangsproblemen für diskriminierte Gruppen auf dem Wohnungsmarkt und den hohen Mietbelastungen für Haushalte mit niedrigen Haushaltseinkommen. Insbesondere wegen des sinkenden Bestands an günstigen Sozialwohnungen könnte eine gut konzipierte neue Wohngemeinnützigkeit ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung der aktuellen Wohnungsmarktprobleme sein.
Sein Konzept zielt darauf ab, ein größeres Wohnungsmarktsegment mit dauerhaft sozial gebundenem Wohnraum zu schaffen. Damit unterscheidet es sich von aktuellen Programmen des sozialen Wohnungsbaus, die Wohnungen nur für einen begrenzten Zeitraum von 20-30 Jahren den Wohnungsmarktmechanismen entziehen und so für Haushalte mit niedrigen Einkommen sichern.
Das Konzept Jan Kuhnerts und des Deutschen Mieterbunds beinhaltet zwei aufeinander bezogene Förderelemente: Steuerbefreiungen und Investitionszulagen / Zuschüsse. Um gemischte sozialräumliche Strukturen zu erhalten, ist eine Staffelung der Förderung vorgesehen. Die Zielgruppen werden anhand von drei Einkommensgruppen definiert, wobei der Schwerpunkt der Förderung auf den Gruppen mit den niedrigsten Einkommen liegen soll. Aber auch Haushalte mit mittleren Einkommen sollen noch abgeschwächt von den Förderinstrumenten profitieren.
Die im Konzept vorgesehenen steuerlichen Entlastungen und die Investitionszuschüsse des Bundes sind sozial gestaffelt. Die Wohnungen, die an Haushalte der untersten Einkommensgruppe vermietet würden, könnten mit einem Steuersatz von 0% und einem Zuschuss von 20 % des Baupreises rechnen. Für die mittlere Gruppe mit ist ein Steuersatz von 25% einem Zuschuss von 15 % und für die dritte Einkommensgruppe (die bis zu Haushalten mit mittleren Einkommen reicht) sind ein Steuersatz von 50 und 10% Zuschuss vorgesehen. Dafür müssten die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen Bestandsmieten garantieren, die dauerhaft mindestens 20% unter der ortsüblichen Vergleichsmiete (OVM) liegen würden.
Die steuerliche Förderung von gebundenen Wohnungen soll dabei auch in entspannten Mietmärkten möglich sein, da diese auch dort benötigt würden. Allerdings sollte die Neubauförderung sich auf Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten beschränken.
Jan Kuhnert verglich sein Konzept mit den Neuregelungen der “Förderung wohngemeinnütziger Zwecke”, die vom Bundeskabinett am 5.6.2024 verabschiedet wurden und die die Ankündigung der Einführung einer „Neuen Wohngemeinnützigkeit“ im Koalitionsvertrag umsetzen soll. Aus seiner Sicht wird die beschlossene Änderung der Abgabenordnung nicht die von der Gesellschaft erhoffte Marktwirkung erzielen. Er kritisierte, dass sich der Regierungsentwurf auf eine Änderung der Abgabenordnung und damit auf das Mittel der Steuerbefreiung beschränke und die zweite Säule der „Neuen Wohngemeinnützigkeit“ – ein starkes Investitionsprogramm für die Bauförderung dauerhaft sozial gebundener Wohnungen – komplett fehle. Um positive Effekte auf den angespannten Wohnungsmärkten zu erzielen seien jedoch Investitionszulagen dringend erforderlich.
Reinhard Aehnelt: Kritischer Blick auf die Potenziale der Neuen Wohngemeinnützigkeit
Reinhard Aehnelt stellte in seinem Vortrag die im Diskurs zu findende Kritik am Konzept „Neue Wohngemeinnützigkeit“ und Hindernisse bei der Umsetzung vor. Er betonte die Notwendigkeit, den Begriff “Wohngemeinnützigkeit” klar zu definieren. Aus seiner Sicht müsse die Wohngemeinnützigkeit eine kritische Masse an Wohnraum dem spekulativen Wohnungsmarkt entziehen. Dieser Wohnraum müsse insbesondere solchen Gruppen, die Zugangsprobleme haben, zur Verfügung stehen. Zudem sollte sie zur Weiterentwicklung inklusiver Wohnformen beitragen.
Er hinterfragte, ob die Neue Wohngemeinnützigkeit die Rolle als Marktkorrektiv übernehmen könne. Es sei ein hoher Anteil an sozial gebundenen Wohnungen auf dem Markt von mindesten 20 bis 40 Prozent notwendig, um einen dämpfenden Effekt auf hohe Mietbelastungen und Mietenanstiege zu entfalten. Aehnelt beschrieb die große Unsicherheit in der Frage, ob bei kommunalen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften, Stiftungen, Wohngruppen und gemeinschaftlichen Projekten zur Zeit überhaupt ein großes Interesse daran bestehe, als mögliche Träger nach der Neuen Wohngemeinnützigkeit anerkannt zu werden. Unklar sei außerdem, ob die Wohngemeinnützigkeit bundesweit, in großen Städten oder nur in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten gelten solle. Zudem sei offen, ob bei der dauerhaften Entspannung eines regionalen Wohnungsmarktes, die Förderung in diesen Regionen entfallen solle oder auf Dauer angelegt sein müsse.
Bei der Umsetzung der Neuen Wohngemeinnützigkeit sah er die Gefahr von Fehlförderungen. Mit den Förderinstrumenten sei die Notwendigkeit einer effektiven Kontrolle der Unternehmen verbunden. Diese müssten durch Finanzämter, den Aufbau eines Prüfverbandes oder einer Bundesbehörde, landesbehördliche Prüfungen, kommunale Berichtspflichten und die Einbindung von Mieterbeiräten umgesetzt werden, was sehr aufwendig sei und gleichzeitig den Zielen einer Entbürokratisierung entgegenstünde.
Anstatt zu stark auf ein einzelnes Instrument der Wohnungspolitik zu setzen, brauche es einen Maßnahmenmix zur Verbesserung der Wohnungsmarktsituation von benachteiligten Familienformen am Wohnungsmarkt. Mögliche Bausteine seien u.a. Kooperationsvereinbarungen mit Wohnungsbauunternehmen, die Vereinbarung von Belegungsrechten mit kommunalen wie freien Wohnungsbauunternehmen, flexible temporäre Bindungen zugunsten benachteiligter Gruppen auf dem Wohnungsmarkt, gemeinwohlorientierte kommunale Vergabeverfahren, die Gründung kommunaler Stiftungen und Bodenfonds neben der Förderung des gemeinwohlorientierten Wohnungsbaus.
Diskussion
In der Diskussion wurde von den AGF-Verbänden der Eindruck geäußert, dass die gesellschaftlich diskutierten Konzepte zur Neuen Wohngemeinnützigkeit deutlich weiter gingen als der aktuelle Regierungsentwurf. Diese Konzepte zielen darauf ab, eine nachhaltige und inklusive Wohnraumversorgung sicherzustellen und umfassend soziale und familienorientierte Kriterien bei der Wohnraumvergabe zu integrieren. Es wurde darauf hingewiesen, dass nicht sichtbar sei, dass es für den aktuellen Gesetzesentwurf einen angemessenen Beteiligungsprozess gegeben hätte, um die Bedürfnisse der betroffenen Gruppen besser zu adressieren.
Ein zentraler Kritikpunkt am Entwurf der Bundesregierung war das fehlende Investitionsprogramm, das einen notwendigen Impuls für den Neubau von sozialem Wohnraum geben könne. Die Teilnehmer:innen waren sich einig, dass ohne ausreichende Investitionsanreize die Ziele der Neuen Wohngemeinnützigkeit kaum erreicht werden können. Ein umfassendes Investitionsprogramm würde nicht nur den Neubau fördern, sondern könne auch die Sanierung und familiengerechte Modernisierung bestehender Wohnanlagen unterstützen.
In der Diskussion wurde ebenfalls befürchtet, dass die Ausweitung des Berechtigtenkreises ohne eine entsprechende Staffelung der Steuervorteile zu einer Konkurrenz zwischen armen und Mittelschichtshaushalten führen kann. Wohnungsunternehmen könnten dazu veranlasst werden, noch stärker als bisher Mittelschichtshaushalte gegenüber Niedrigeinkommenshaushalte zu bevorzugen, da diese für die Vermieter als weniger risikobehaftet angesehen würden. Dieses “Rosinenpicken” durch Wohnungsunternehmen könnte die soziale Durchmischung und die Wohnungsversorgung der wirklich bedürftigen Haushalte weiter einschränken.
Um die besonderen Bedarfe von Familien im aktuellen Entwurf zumindest etwas stärker zu berücksichtigen wurde vorgeschlagen, die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit durch die Ausweitung des Zwecks in §53 AO auf besonders benachteiligte Familienformen zu ergänzen. Dies wäre eine Maßnahme, um Alleinerziehende, große Familien und migrantische Familien besser zu berücksichtigt und ihre Chancen der passenden Wohnraumversorgung zu erhöhen.
Eine solche Erweiterung könnte die Diskriminierung spezifischer Familienformen auf dem Wohnungsmarkt mindern und Chancengleichheit fördern.
Eine weitere Forderung an den aktuellen Gesetzentwurf war die Festlegung einer anteiligen Mindesthöhe des Mietabschlags von der durchschnittlichen Miete, um die Steuererleichterungen in Anspruch nehmen zu können. Es wurde vorgeschlagen, dass dieser Abschlag klar definiert und gesetzlich verankert werden sollte, um Transparenz und Fairness zu gewährleisten.
Außerdem regten die Teilnehmenden an, Studien zur Quantifizierung des Problems der Benachteiligung am Wohnungsmarkt für Alleinerziehende, kinderreiche Familien und migrantische Familien von ministerieller Seite zu initiieren. Solche Studien könnten helfen, das Ausmaß der Diskriminierung und Benachteiligung zu erfassen und gezielte Maßnahmen zu entwickeln, um diesen entgegenzuwirken. Damit könnte der Druck auf die kommunale Ebene erhöht werden, das Kriterium der Familienformen bei der Vergabe von Wohnungen und bei der Grundrissplanung besser als bisher zu berücksichtigen. Neue Daten über die Wohnungsmarktdiskriminierung von migrantisch gelesen Familien könnte der Nationale Diskriminierungs- und Rassismusmonitor des DeZIM im Verlauf des kommenden Jahres liefern.
Die Diskussion machte deutlich, dass umfassendere und gezieltere Maßnahmen notwendig sind, um die von der Gesellschaft erhofften Ziele der Neuen Wohngemeinnützigkeit zu erreichen. Insbesondere die stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Maßnahmenentwicklung, ein robustes Investitionsprogramm und die Berücksichtigung besonders benachteiligter Familienformen können dazu beitragen, eine gerechte und inklusive Wohnraumversorgung sicherzustellen.