Anmerkungen der AGF: Die Debatte zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet

Hintergrund

Die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Child Sexual Abuse, im folgenden CSA) ist ein wichtiges Ziel der EU, wobei das Internet als Raum des Missbrauchs eine besondere Herausforderung darstellt. Die Prävalenz des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Europa ist nicht leicht zu erfassen, nicht zuletzt, weil viele Fälle nicht gemeldet werden und eine hohe Dunkelziffer besteht. Schätzungen und Studien gehen davon aus, dass in Europa etwa 10-20 % der Kinder bis zum Alter von 18 Jahren sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind.

Trotz der bisherigen Bemühungen gelingt es in der EU somit nicht, Kinder davor zu schützen, Opfer von sexuellem Missbrauch im Internet zu werden. Die bisherigen Regelungen, die vor allem auf der freiwilligen Aufdeckung und Meldung durch Unternehmen basieren, haben sich als unzureichend erwiesen, um die Verbreitung von Material über sexuellen Kindesmissbrauch im Internet zu bekämpfen.

Jedoch gibt es seit einiger Zeit begrüßenswerte Bemühungen, diese Situation zu verbessern. So ist zum Beispiel seit Februar 2024 der Digital Services Act (DSA) für alle Onlineplattformen in Kraft getreten, der bereits eine große Bandbreite an Maßnahmen enthält, die für mehr Kinderschutz sorgen sollen. In Deutschland haben bereits einige Maßnahmen zur Umsetzung des DSA stattgefunden, die weiterverfolgt werden müssen.

Vorschlag der EU-Kommission für eine Regulierung auf Europäischer Ebene

In diesem Kontext hat die EU-Kommission im Mai 2022 einen konkreten Vorschlag „zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ gemacht, der mehrere Komponenten enthält.4 Ziel der europäischen Child Sexual Abuse Regulation (CSA-R) ist es, den sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet (einschließlich Cyber-Grooming) zu verhindern, aufzudecken, zu melden und zu verfolgen sowie die Opfer zu unterstützen.

Dieser Vorschlag wird derzeit sowohl auf europäischer Ebene als auch auf nationaler Ebene kontrovers diskutiert. Umstritten sind insbesondere Maßnahmen zur Aufdeckung und Entfernung von Material zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (Child Sexual Abuse Material – CSAM). Hier könnten, je nach konkreter Ausformung der Maßnahmen, grundsätzliche und starke Eingriffe in die Privatsphäre entstehen.
Die Diskussion findet unter großem öffentlichem Druck statt.

Herangehensweise der AGF

Die Familienorganisationen haben sich sowohl individuell als Verbände als auch gemeinsam in der AGF dem Themenkomplex gewidmet. Auf Grundlage ihres Diskussionspapiers “Digitaler Wandel und seine Auswirkungen auf Familien” bringt sich die AGF in verschieden Debatten ein. Sie ist Mitglied des Beirats der Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (BzKJ). Als Mitglied und in Zusammenarbeit mit dem europäischen Zusammenschluss der Familienverbbände COFACE Families Europe hat sie an diversen Fachgesprächen zur Internetsicherheit mitgewirkt. Im Februar 2024 diskutierten auf Einladung von AGF und COFACE 25 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Perspektiven in einem hybriden europäischen Fachgespräch die Ziele, Inhalte und nächsten Schritte des aktuellen Kommissionsvorschlags.

Grundsätzliche Überlegungen der Familienorganisationen

Die Familienorganisationen teilen die Sorge über die Bedrohung durch sexuellen Missbrauch in den digitalen Medien. Sie rufen dazu auf, diese Bedrohungen ernst zu nehmen und in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Die Verbände halten es dabei für eine zentrale Aufgabe, den eigentlichen Kern der Zielstellungen in das Zentrum zu rücken und die aufgeheizte Debatte mit ihrer überzogenen Polarisierung zwischen Daten- und Kinderschutz im Sinne der Kinder und ihren Familien zu versachlichen. Die Familienorganisationen weisen darauf hin, dass die Rechte des Kindes vielfältig sind. Sie beinhalten nicht nur die Schutzaspekte, sondern unter anderem auch die Rechte auf Teilhabe und Privatsphäre.

Bei den die Kinder und ihre Familien betreffenden Maßnahmen müssen diese Rechte mitgedacht werden und in die Abwägung einfließen. Wenn es hier zu Widersprüchen kommen sollte, stellt sich zum Beispiel die Frage: Wie viel Verlust der Privatsphäre ist man bereit in Kauf zu nehmen, um wie viel zusätzlichen Schutz der Kinder vor sexuellem Missbrauch zu erreichen? Politik hat eine hohe Verantwortung für den Schutz von Kindern und Jugendlichen bei der Nutzung digitaler Medien und Techniken. Dies gilt ebenso für die Anbieter digitaler Medien und Techniken. Viele ihrer Geschäftsmodelle sind auf eine hohe Nutzung ihrer Angebote durch diese Zielgruppen angelegt, gleichzeitig wird eine Verantwortung für die Gefahren der Nutzung noch zu häufig verneint. Ohne die Unternehmen aber wird ein nennenswerter Schutz nicht zu erreichen sein.

Aus Sicht von Eltern sind Maßnahmen der Selbstregulierung und Selbstkontrolle jedoch bisher nur begrenzt wirksam. Dennoch bieten diese zumindest einen gewissen Schutz. Dies ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit, sie langfristig durch umfassende und ganzheitliche Regelungen zu finden, in denen weitere Maßnahmen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen zum Tragen kommen.

Familien brauchen Unterstützung in der Gestaltung des digitalen Wandels und insbesondere dabei, verletzliche Familienmitglieder vor den Risiken dieser Entwicklung zu schützen. Dabei müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen zwischen den Familien für die Bewältigung dieser Risiken beachtet werden.

Den Familienverbänden ist es auch in der Debatte eines überwiegend ordnungspolitischen Vorschlags wichtig zu betonen, dass allgemeine Maßnahmen der Kompetenzsteigerung im Umgang mit digitalen Medien, präventive Angebote zur Vermeidung von sexuellem Missbrauch sowie konkrete Beratung für Kinder und Familien von zentraler Bedeutung sind. Kinder müssen über möglichen sexuellen Missbrauch im Internet sowie Cybergrooming frühzeitig und kompetent aufgeklärt werden. Dazu gehören unter anderem die Stärkung des Selbstwertgefühls der Kinder und Jugendlichen, die Fragen, welche Sicherheitsregeln es zu beachten gilt, um sich vor entsprechenden Angriffen zu schützen, oder was zu tun ist, sollte der Fall bereits eingetreten sein. Zahlreiche Akteure stellen hier schon Angebote bereit, die sich an Familien, Kinder und Jugendliche und Eltern sowie an Fachkräfte richten. Diese gilt es weiter zu unterstützen und auszubauen. Dennoch ist es keine Lösung, immer mehr digitale Kompetenzen von Familien und Endverbrauchern einzufordern und damit die Verantwortung für den Schutz vor digitalen Risiken einseitig den Familien zu übertragen.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor CSA ist daher eine gemeinsame Aufgabe der Familien, Bildungs- und Betreuungsinstitutionen, Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Dies gilt auch für die Unterstützung von Opfern bei der Bewältigung der Folgen und den Schutz vor einer sekundären Viktimisierung durch eine Weiterverbreitung der Bilder und Videos. Daher begrüßen die Familienorganisationen die Initiative der Europäischen Kommission.

AGF – Diskussionspapier “Digitaler Wandel und seine Auswirkungen auf Familien”