13. Februar 2024: Die Europäische Elternschaftsverordnung in der Diskussion

Am 13. Februar 2024 veranstaltete die AGF ein Fachgespräch zur geplanten EU-Verordnung zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft (hier kurz „Elternschaftsverordnung“), an dem Vertreterinnen des Referats “Internationales Privatrecht; Internationales Zivilverfahrensrecht I” aus dem BMJ, Björn Sieverding (NELFA – Network of European LGBTIQ* Families Associations) sowie Geschäftsführer:innen und Referent:innen der AGF-Mitgliedsverbände teilnahmen.

Hintergrund

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt, dass die EU ein Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung von Elternschaften in der EU etablieren wolle. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Elternschaft eines Kindes in einem EU-Staat auch von den anderen Mitgliedstaaten anerkannt wird. Am 07.12.2022 hat die EU-Kommission hierzu einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates (KOM(2022) 695 endgültig) vorgelegt. Dieser enthält Bestimmungen zum anwendbaren Recht, zur internationalen Zuständigkeit, Regelungen zur grenzüberschreitenden Anerkennung von Elternschaftsentscheidungen sowie der Annahme von öffentlichen Urkunden und zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats. Am 14.12.2023 hat das Europäische Parlament dem Vorschlag ohne wesentliche Änderungen zugestimmt. Derzeit beschäftigen sich Vertreter:innen der Mitgliedstaaten in der zuständigen Arbeitsgruppe des Rats der EU mit diesem Vorschlag. Für eine Verabschiedung ist die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erforderlich, was angesichts diverser Konfliktpunkte bei der Ausgestaltung der Verordnung noch einen intensiven Diskussionsprozess mit ungewissem Ausgang erwarten lässt

Einführung: Björn Sieverding, NELFA – Network of European LGBTIQ* Families Associations

Björn Sieverding von NELFA stellte einführend dar, mit welchen Problemen insbesondere gleichgeschlechtliche Eltern heute bei der grenzüberschreitenden Anerkennung ihrer Elternschaft konfrontiert sein können und wie die geplante Elternschaftsverordnung hier in diesen Situationen helfen könnte. Die Notwendigkeit einer EU-weiten Regelung begründete er mit den Unterschieden in den nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten. Insbesondere Kinder aus Regenbogenfamilien hätten bei binationalen Elternpaaren oder bei Umzügen in andere Staaten oft Schwierigkeiten, ihre rechtliche Situation zu klären, da divergierende Regelungen zu Ehe, Elternschaft, Adoption und Reproduktionsmedizin in den Mitgliedsstaaten existierten. Dies führe zu komplexen rechtlichen Situationen, die mindestens einen hohen Anerkennungs- und Verwaltungsaufwand nach sich zögen, bis hin zu einer möglichen Staatenlosigkeit des Kindes. Die bekannten Beispiele “Baby Sara” und “Ole” seien dafür die prominentesten Beispiele.

Björn Sieverding beschrieb den bisherigen Stand der Diskussion zu den Vorschlägen der EU Kommission. Die EU-Kommission schlage die Einführung eines Systems von Regeln für die grenzüberschreitende Anerkennung der Elternschaft vor. Dazu gehörten die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit, die Schaffung von Kollisionsregeln zur Bestimmung des anwendbaren nationalen Rechts für die Feststellung der Elternschaft und die Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen über die Elternschaft. Darüber hinaus sieht der Kommissionsvorschlag die Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats vor.

Der Vorschlag der EU-Kommission befinde sich jedoch noch in der Diskussion im Rat. Bislang sei Kritik vor allem hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf bestehende nationale Regelungen geäußert worden. Dies beträfe insbesondere Regelungen in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehen, Adoptionen und die Anerkennung von Leihmutterschaft. Von den Mitgliedstaaten, die dem Kommissionsvorschlag skeptisch gegenüberstehen, werde vermutet, dass mit dieser neuen Regelung eine Legalisierung von Elternschaften stattfinden könnte, die von den nationalen Gesetzgebern so nicht gewollt sei. Trotz der kontroversen Einschätzungen betonte Björn Sieverding, dass es aus Sicht von NELFA nicht darum gehe, neue Rechte für Regenbogenfamilien auf nationaler Ebene einzuführen. Stattdessen sollten rechtliche Eltern-Kind-Beziehungen, die in einem EU-Staat bereits anerkannt sind, auch in jedem anderen EU-Staat bestehen können.

NELFA befürworte den Regelungsvorschlag der Kommission, da er den Schutz der Kinder und ihrer rechtlichen Beziehungen zu ihren sozialen Eltern sicherstelle. Abschließend verdeutlichte er die Bedeutung einer einheitlichen Regelung, um die Rechte der Kinder zu schützen und Rechtsklarheit in grenzüberschreitenden Situationen zu schaffen. Jedoch sei auch aus Sicht von NELFA klar, dass der Entwurf nur einen Teil der bestehenden Probleme löse.

Diskussion

In der Diskussion wurden einzelne Bestandteile und Argumente der allgemeinen Debatte ausführlich erörtert und abgewogen. So wurde zunächst verdeutlicht, dass es auch heute schon in den verschiedenen Mitgliedstaaten nationale Regelungen zur Anerkennung von ausländischen Entscheidungen gibt. Die Verordnung würde dazu führen, dass es innerhalb der EU einheitliche Regelungen zur Anerkennung der Elternschaft gäbe. Zudem wurde hervorgehoben, dass nicht nur gleichgeschlechtliche Eltern betroffen seien, sondern auch andere Familienkonstellationen.

Die Vertreter:innen der anwesenden Mitgliedsverbände der AGF waren sich in den grundsätzlichen Zielstellungen des Kommissions-Vorschlags einig. So sei es ein unterstützenswertes Ziel und im Sinne der Familien, die materiellen und psychischen Belastungen der Familien, die durch die zum Teil sehr komplizierten Anerkennungsverfahren zu verringern. Auch sei es ein wichtiges Ziel, die Rechte der Kinder auf Elternschaft zu schützen und Rechtssicherheit für die Familien zu schaffen. Es sei wichtig, dass die Elternschaft für alle Kinder auch bei einem Wohnortwechsel innerhalb der EU oder bei Eltern mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit gesichert sei.

Jedoch seien die Auswirkungen des EU-Vorschlags bzw. seine Verflechtung mit anderen Vorschriften weitreichend. Es gehe letztendlich um die Frage, wer Elternteil eines Kindes ist und damit mittelbar, welche Folgen sich aus dieser Eltern-Kind-Konstellation und damit, welche Rechte und Pflichten sich daraus ergeben. Sie beträfen unter anderem das Staatsangehörigkeitsrecht, das Unterhaltsrecht und das Erbrecht. Da die Mitgliedstaaten der Verordnung einstimmig zustimmen müssten, seien die Verhandlungen gleichzeitig rechtlich und politisch komplexProblematisiert wurde, ob durch den EU-Vorschlag Formen der Elternschaft oder auch Regelungen zur Leihmutterschaft gegen den Willen der nationalen Regierungen etabliert werden könnten. Deutlich wurde, dass die direkte nationale Gesetzgebungshoheit in diesen Fragen unberührt bliebe. Ein Staat werde nicht gezwungen die gleichgeschlechtliche Ehe einzuführen, wenn der nationale Gesetzgeber dies nicht wollte. Die Mitgliedsverbände diskutierten, dass es einen indirekten Regelungseffekt geben kann und ggf. auch sollte, da es im Interesse der Kinder sei, ihnen und ihren Eltern Rechtssicherheit für ihre Eltern-Kind-Beziehung zu garantieren. Regierungen könnten den politischen Legitimationsdruck fürchten, wenn Sie Elternschaftsregelungen für einwandernde Regenbogenfamilien akzeptierten, dies für die eigene Bevölkerung aber ausschlössen.

In der öffentlichen Debatte nimmt die Frage, wie sich der Vorschlag der Kommission auf die Anerkennungspraxis von Leihmutterschaft auswirkt, großen Raum ein. Auch ein Mitgliedsverband der AGF hatte hier Befürchtungen geäußert. Die Diskussion unter den Mitgliedsverbänden beim AGF-Expertengespräch war der Praxis der Leihmutterschaft eher kritisch gegenüber, auch wenn diese Frage nicht im Zentrum stand. Diskutiert wurde, ob und wie der Vorschlag zu einer Elternschaftsverordnung Leihmutterschaft ggf. begünstigt. Dabei wurden Befürchtungen geäußert, es könne zu einer indirekten Förderung kommen. Dem wurde entgegengehalten, dass es bei dem EU-Vorschlag lediglich um die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen zwischen EU-Mitgliedstaaten gehe. Innerhalb der EU sei Leihmutterschaft in der überwiegenden Zahl der Mitgliedsstaaten verboten. In einigen Mitgliedstaaten gebe es lediglich sehr restriktive Regelungen, die nur heterosexuellen Paaren mit gesundheitlichen Einschränkungen und Kinderwunsch offen stünden. Dies betreffe jedoch nur eine sehr geringe Anzahl von Fällen. Die Regelungen zur Anerkennung der Elternschaft aus Drittstaaten, die z.B. auch kommerzielle Leihmutterschaft zulassen, seien vom EU-Vorschlag ausdrücklich nicht betroffen.

Im weiteren Verlauf wurden auf der anderen Seite Bedenken geäußert, wie sich z.B. eine Erweiterung der EU durch einen Staat mit weitgehend legalisierter kommerzieller Leihmutterschaft in der Zukunft auswirken würde. Deutlich wurde in der Diskussion, dass sich in dem weiteren Prozess eine Lösung zur Klärung der Leihmutterschaft finden müsse, die den Bedenken hinsichtlich intendierter und nicht intendierter Effekte Rechnung trägt.

Eine weitere Frage war, ob das geplante EU-Elternschaftszertifikat die Durchsetzung des Rechts von Kindern auf Kenntnis ihrer Abstammung erschweren könnte, indem es die biologische Abstammung „verschleiert“. Dies wurde jedoch verneint, da sich an der Zugänglichkeit der Informationen nichts ändere.

Ferner wurde diskutiert, wie der EU-Prozess unterstützt werden kann, um den gewünschten Effekt der Rechtssicherheit bei der Anerkennung der Elternschaft zu erreichen. Dabei wurden die aktuellen Chancen für eine einstimmige Verabschiedung einer EU-Verordnung unterschiedlich eingeschätzt. Einigkeit bestand jedoch darin, dass angesichts der wichtigen grundsätzlichen Ziele des Vorschlags auch die kritischen Punkte offen angesprochen und ausdiskutiert werden müssen. Es wurde allgemein mit weitere komplizierten Verhandlungen auf der Ebene des Rates gerechnet und eine schnelle Verabschiedung als eher unwahrscheinlich gesehen.