15. Mai 2023: AGF-Fachveranstaltung “Familie und Wohnen: Aktuelle Belastungen und Herausforderungen”

Am internationalen Tag der Familie am 15. Mai 2023 fand die AGF-Fachveranstaltung “Familie und Wohnen: Aktuelle Belastungen und Herausforderungen” statt. Im Zentrum standen die wachsenden Belastungen für Familien durch steigende Energiepreise und Wohnkosten.

Zunächst beleuchtete Mats Kröger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Belastungen für Familien durch hohe Energiepreise und erläuterte u.a. den Zusammenhang von Gas-Heizungskosten und Haushaltseinkommen. Er zeigte, dass die Ausgaben für Gas mit steigenden Einkommen ebenfalls leicht ansteigen. Allerdings seien die absoluten Ausgaben der ärmeren Haushalte nicht wesentlich niedriger als die der reicheren Haushalte. Dies führe dazu, dass die relativen Anteile, die ärmere Haushalte für ihre Gasheizung aufwenden müssen, deutlich höher liegen als die relative Belastung reicherer Haushalte. Gleichzeitig lebten Haushalte mit niedrigen Einkommen seltener in Wohnungen, die nach modernen Standards thermisch isoliert sind als Haushalte mit höheren Einkommen. Das mache die politisch angestrebte Reduktion des Heizbedarfs zu einer sozialen Frage. Die vulnerabelsten Gruppen seien hier Mieterinnen mit geringem Einkommen, die auf der einen Seite am stärksten von energetischen Sanierungen profitieren würden, aber auf der anderen Seite zurzeit besonders durch sanierungsbedingten Mietsteigerungen belastet seien. Hier sei parallel eine Weiterentwicklung des Mieterschutzes notwendig. Er wies jedoch ebenfalls darauf hin, dass auch Eigentümer:innen in ökonomische Schieflagen geraten könnten. Deshalb seien in der Energiewende auch Unterstützungen für (selbstnutzende) Eigentümer:innen notwendig. Mats Kröger stellte weiterhin Konzepte des DIW mit Maßnahmen zur Reduzierung der Heizkosten als auch der Stromkosten vor.

Die Präsentation von Mats Kröger finden Sie hier: Präsentation_Kröger

Im folgenden wurde auf die Belastungen fokussiert, die Familien auf dem Wohnungsmarkt erfahren.
Frau Dr. Christina Boll vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) erläuterte die familienspezifischen Wohnungsbedarfe und Belastungen auf dem Wohnungsmarkt. Sie wies darauf hin, dass der familiale Wandel und die Bedeutungszunahme von sozialer Elternschaft neue Bedarfslagen beim Wohnen schaffe. Unter den Bedingungen von angespannten Wohnungsmärkten bringe für diese Familien ein sich ändernder Wohnraumbedarf gleichzeitig besonders hohe Belastungen mit sich, da jeder Wohnungswechsel mit hohen Mietsteigerungen verbunden sei. Das in Großstädten zu beobachtende „Abreißen von Umzugsketten“ aufgrund der hohen Mietaufschläge bei Umzug führe zu einem wachsenden Missmatch von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt. Dies bedeute, dass Familien mit minderjährigen Kindern zunehmen von überbelegten Wohnungen betroffen seien. So sei der Anteil der Minderjährigen, die in überbelegten Wohnungen leben sechsmal so hoch wie bei älteren Menschen ab 65 Jahren. Was die Überlastung durch Mietkosten angeht, zeigte Sie, dass davon besonders Alleinerziehende, aber auch Alleinlebende betroffen seien. Alleinerziehende mussten 2021 durchschnittlich etwa 30 % ihres Haushaltseinkommens für Wohnkosten aufwenden; unter armutsgefährdeten Alleinerziehenden lag der Anteil im Durchschnitt bei fast 43 %. Sie gab im weiteren einen Überblick über wohnungspolitische Maßnahmen, die Belastungen für Familien auf dem Wohnungsmarkt mittelfristig senken könnten.

Die Präsentation von Dr. Christina Boll finden Sie hier: Präsentation_Boll

Dr. Reinhard Aehnelt vom Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik berichtete über die historische Entwicklung der Wohnungsbaupolitik seit dem letzten Jahrhundert. Er wies darauf hin, dass es bereits in den 50er und 90er Jahren Phasen gab, in denen eine größere Anzahl von Wohnungen pro Jahr gebaut wurden, als sich dies zurzeit in diskutierten Zielzahlen für den Wohnungsbau widerspiegelt. Für die spezifischen Belastungen von Familien müsse man festhalten, dass hier drei Faktoren zusammenwirkten: a) allgemeine Versorgungsprobleme mit Wohnraum, b) Zugangsprobleme für einkommensschwache Haushalte und c) Zugangsprobleme für Haushalte mit besonderen Merkmalen. Bei den angespannten Wohnungsmärkten in vielen Regionen Deutschlands mache sich u.a. der dritte Punkt für bestimmte Familienformen negativ bemerkbar. Negative Stereotype bei den Vermietern gegenüber kinderreichen Familien, Alleinerziehenden und Familien, die als migrantisch wahrgenommen werden, beeinträchtigen deren Chancen auf dem Wohnungsmarkt stark. Dies gelte aber auch für Schwangere, Haftentlassene und verschuldete Haushalte. Als Maßnahmen zur mittelfristigen Entlastung von Familien nannte er die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus, Stärkung des gemeinnützigen Sektors, eine aktive Bodenpolitik, die Stärkung einer sozialen Vergabepraxis der Kommunen mit der Vereinbarung von Belegungsrechten.

Die Präsentation von Dr. Reinhard Aehnelt finden Sie hier: Präsentation_Aehnelt

Wibke Werner vom Berliner Mieterverein betonte, dass große Unterschiede in den Mietniveaus und -entwicklungen zwischen den Regionen bestehen, die zu unterschiedlichen Belastungen führen. Außerdem wies sie auf die unterschiedlichen Dynamiken bei Bestandsmieten und Neuvermietungen hin. Sie hob die Bedeutung der Ausweitung und Erhöhung des Wohngeldes hervor, betonte aber auch, dass der Wohnungsmarkt erfahrungsgemäß solche Erhöhungen relativ schnell wieder in die Mietenentwicklung „einpreise“. Hinsichtlich des Berliner Wohnungsmarktes entwarf sie hinsichtlich der Entspannung des Mietwohnungsmarktes durch Neubau ein pessimistisches Bild. Hier würden die angepeilten Zahlen deutlich verfehlt und unter den realisierten Neubauten in Berlin seien im Jahr 2021 nur weniger als ein Drittel klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel bezahlbare Mietwohnung gewesen. Die Politik müsse ihre Hebel nutzen, um Neubau vor allem für das günstige Mietsegment anzuregen. Sie sieht in der diskutierten neuen Wohngemeinnützigkeit ein wichtiges Instrument auch wenn dies nicht kurzfristig greifen könne. Dazu müsse weiterhin sichergestellt werden, dass die bezahlbaren Mietwohnungen im Bestand erhalten blieben. In Berlin müsse dazu unter anderem der Abriss von günstigen Mietwohnungen eingeschränkt und die Zweckentfremdung durch zeitweise Vermietung und die Umwandlung in möblierte Vermietung stärker reguliert werden. Weiter fehle beispielsweise bundesweit eine Senkung der Kappungsgrenze für allgemeine Mieterhöhungen und eine Reform der Modernisierungsumlage, wie sie im Koalitionsvertrag angekündigt wurde.

In der Diskussion wurde betont, dass Probleme auf dem Wohnungsmarkt voraussichtlich nicht kurzfristig zu lösen seien und viele Maßnahmen zusammenwirken und Stellschrauben parallel angepasst werden müssen. Dabei müssen mittel- und langfristige Strategien zur Beseitigung des Wohnraummangels durch Maßnahmen zur Bekämpfung der akuten Symptome der Wohnungsmarktkrise für Familien flankiert werden. Grundsätzlich sind auch Menschen, die nicht in Familien/Mehrgenerationenverbänden wohnen, von der aktuellen Wohnungsmarktsituation negativ betroffen. Allerdings sind Familienleben /-zyklen gegenüber individuellem Leben besonders dadurch gekennzeichnet, dass sich Konstellationen und dadurch auch Wohnbedarfe kontinuierlich verändern. Die Konstituierung einer Familie geht mit einem höheren Wohnraumbedarf einher. Die Geburt weiterer Kinder führt zu weiterem Ansteigen des Wohnraumbedarf. So weisen Mehrkindfamilien eine deutlich höhere Wohnungsmobilität auf als andere Familienformen. Diese notwendige Mobilität auf dem Wohnungsmarkt muss zurzeit sehr teuer erkauft werden, da bei Neu- und Wiedervermietungen aber auch beim Neubau oder Neuerwerb Preisaufschläge anfallen, die deutlich über der Preisentwicklung im Bestand liegen.

PROGRAMM

10:30 Uhr: Anmeldung und Ankommen

11:00 – 11:15 Uhr: Begrüßung

11:15 – 12:00 Uhr:
Politische Maßnahmen zur Senkung der Belastung durch Energiepreise
Mats Kröger, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung

12:00 – 12:45 Uhr:
Wohnungsbedarf, Wohnungsmarkt und Wohnkosten: Familien unter Druck
PD Dr. Christina Boll, Deutsches Jugendinstitut

12:45 – 14:00 Uhr: Mittagspause

14:00 – 16:00 Uhr: Inputs mit Diskussion zur Vertiefung einzener Bereiche

  • Besonders belastete oder diskriminierte Gruppen auf dem Wohnungsmarkt an den Beispielen kinderreiche Familien, Alleinerziehende und Familien mit Migrationsgeschichte
    Impuls: Dr. Reinhard Aehnelt, Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik
  • Belastungen auf dem Wohnungsmarkt und politische Forderungen aus Sicht der Mieterberatung
    Impuls: Wibke Werner, Berliner Mieterverein e.V.

16:00 Uhr: Ende der Veranstaltung